Erfolgsfaktoren in Kooperationen

Erschienen im Journal „Supply Chain Management“ II/2019 (Oktober 2019)

Treiber für Kooperationen

Wettbewerbsdruck und zunehmende Internationalisierung werden in der Bahnindustrie als Hauptgrund für Kooperationen genannt.

Gerade erst ist die angestrebte Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gescheitert, die industriellen Vorteile der Verbindung der beiden Hersteller lagen aber auf der Hand: Einkaufsvorteile, Skaleneffekte in Entwicklung und Produktion, Bündelung der Innovationskraft, komplementäre Produkte und Fähigkeiten und somit Anpassung der Marktmacht auf die zunehmende Globalisierung des Schienenfahrzeugbaus.

Die Anzahl der OEMs in der Bahntechnik ist im Vergleich zu anderen Mobilitätsarten vergleichsweise gering, insofern sind die Möglichkeiten für Fusionen oder enge Kooperationen auf der obersten Ebene begrenzt. Auf der Zulieferseite ist dies aufgrund der weit höheren Anzahl an - oft kleinen oder mittelständischen - Unternehmen anders.

Ausgangspunkt für die Kontaktaufnahme und für erste Gespräche muss für jeden der potenziellen Partner eine sorgfältige Analyse sein:

  • Was ist der oder sind die Treiber?
  • Warum wollen wir kooperieren?
  • Welche Vorteile wollen wir erzielen: Einkaufsvorteile, Skaleneffekte, Know-how-Bündelung / Know-how-Transfer vom anderen Unternehmen,  Bündelung der Innovationskraft, Erweiterung der Marktmacht, erleichterter Marktzugang, Erweiterung der geographischen Präsenz, gemeinsame Finanzierung, Vorteile aus gemeinsamen, systemgestützten Abwicklungssystemen, Webplattformen oder Servicekonzepten?

Eine vorab festgesetzte, gemeinsame Priorisierung ist für die spätere Zusammenführung der Unternehmen unabdingbar, um klare Prioritäten für die Ausarbeitung und Umsetzung der Integrationsschritte ableiten zu können.

Intensität der Integration: Ausprägung und Tiefe

Nach der Klärung des „Warum“ stellt sich die Frage, welche Form der Zusammenarbeit angestrebt wird und mit welchem/n Partner(n).

Auch das angestrebte Beteiligungsverhältnis ist in diesem Rahmen festzulegen, ob Partnerschaft unter Gleichen oder Dominanz eines Partners. Dabei spielen die jeweiligen finanziellen Möglichkeiten der Partner wie auch die Unternehmenswerte eine entscheidende Rolle. Der Vorteil des Beherrschungsmodells liegt v. a. in der Klarheit der Führung, dessen Nachteile in dem zu erwartenden Verlierergefühl des kleineren Partners und im Risiko, dass die Innovationskraft und die Fähigkeiten des kleineren Partners sich nicht entfalten können oder nicht aktiv genutzt werden.

Für die Integration sind folgende Fragen zu klären:

  • Organisationsmodell: Beteiligungsmodell mit Mutter/Tochter-Beziehung – Merger mit voller gesellschaftsrechtlicher und organisatorischer Integration – Holding-Modell mit eigenständigen, kooperierenden Unternehmensbereichen – Kapitalverflechtung mit nebeneinander bestehenden, weitgehend unabhängig agierenden Unternehmen
  • (faktischer) Sitz des Unternehmens
  • Führungsorganisation für die exekutive Führung wie auch die Kontrollorgane: Aufsichtsrats- vs. Board-Modell, alleiniger Vorstandsvorsitzender/Geschäftsführer oder Co-CEOs
  • Besetzung der Positionen im Top-Management
  • Stellenbesetzungsprozess unterhalb der obersten Führungsebene
  • beabsichtigte Integrationstiefe
  • mögliche Reaktionen bzw. Erwartungen der Lieferanten und der Kunden.

Erfolgsfaktoren in Kooperationen

Das „Warum“ der Fusion – die Story dahinter

Spätestens nach Vertragsunterschrift sollten die nachfolgenden Punkte zwischen den Partnern gemeinsam diskutiert, verabschiedet und den Mitarbeitern kommuniziert werden:

  • Vision und Mission der neuen Einheit
  • zugrunde liegende wesentliche Annahmen (Marktentwicklung, technologische Weiterentwicklung, ...)
  • gemeinsame Ziele
  • angestrebtes Geschäftsmodell und angestrebte Rolle des jeweiligen Partners
  • Grundzüge des zukünftiges Organisationsmodells
  • heutige Fähigkeiten der Partner und angestrebte Synergien
  • heutige Kapazitäten und geplante mittelfristige Entwicklung
  • Zeitschiene für die gemeinsamen Entwicklung und wesentliche Meilensteine.

Das Management als entscheidender Faktor

Für die Entwicklung von gemeinsamen Zielvorstellungen müssen sich die Manager, unter bestimmten Konstellationen sogar die beteiligten Gesellschafter, ausreichend Zeit nehmen.

Zu berücksichtigen ist zudem der Umgang mit Führungskräften, die typischerweise in solchen Veränderungssituationen zumindest um ihre Position, ggf. auch um ihre wirtschaftliche Situation fürchten.

Die Unternehmenskultur als elementarer Rahmen

Es wird oft versäumt, im Rahmen der Deal-Vorbereitung neben der „Due Diligence der harten Faktoren“ auch die kulturelle Passung zu prüfen, also eine „Cultural Due Diligence“ durchzuführen. Beide Unternehmen könnten sich mit Hilfe einer gemeinsam vereinbarten „Checkliste zur Unternehmenskultur“ zunächst selbst beurteilen, diese Einschätzung validieren und dann bestehende Gemeinsamkeiten bzw. ersichtliche Unterschiede analysieren. Sollte sich ein Bild massiver kultureller Unterschiede ergeben, die als unüberbrückbar eingeschätzt werden, sollten die Verantwortlichen die Fusion noch einmal in Frage stellen. Im Fortgang sollten Maßnahmen zur Zusammenführung der beiden Unternehmenskulturen diskutiert und beschlossen werden, die Teil eines möglichen Integrationsplans sind.

Die Unternehmenskommunikation als Hebel der Entwicklung

Ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Fusionen ist die mangelnde, unvollständige oder zu späte Information der Mitarbeiter. Mitarbeiter können mit einer klaren Kommunikation, was gesetzt ist oder bereits feststeht, woran gearbeitet wird und was noch offen ist und geklärt werden muss, in der Regel gut umgehen.

Die Spielregeln im Unternehmen

Für die Orientierung der Führungskräfte und Mitarbeiter im neuen Gemeinschaftsunternehmen ist es wichtig, explizite Leitlinien zu bekommen. Diese können unternehmensspezifisch in einem „Corporate Governance Handbook“ beschrieben sein. Sie reichen von der neuen Unternehmensstruktur über Grundzüge der gemeinsamen Unternehmensstrategie, Beschreibungen wesentlicher gemeinsamer Prozesse bis zu Verhaltensrichtlinien.

Die Aushandlung dieser Punkte in den Arbeitsgruppen eines Integrationsprojekts und v. a. die Diskussion und Entscheidung im Top-Management sind ein essenzieller Schritt in Richtung Integration des gemeinsamen Unternehmens. In diesem Aushandlungsprozess müssen die Beteiligten ihre Ziele, Grundannahmen und Interessen nennen und mit ihren Partnern besprechen und gemeinsam verabschieden.

Der Rahmen für die Mitarbeiter

Menschen sind vor allem dann zufrieden und bringen sich motiviert ein, wenn bei ihnen drei Faktoren hoch ausgeprägt sind (Abb. 1):

  • Orientierung („Ich weiß, was ich zu tun habe, weiß, wo es hingeht; ich habe einen Handlungsrahmen mit klaren Leitplanken für meine tägliche Arbeit.“)
  • Anerkennung („Ich empfinde meine Arbeit als wertvoll und bekomme auch entsprechende positive Rückmeldung.“)
  • Partizipation („Ich kann mich einbringen, einen Beitrag für das Ganze leisten; ich fühle mich gefragt, und mein Beitrag wird wertgeschätzt.“).

Die interne Kommunikation sollte in der Phase des Zusammenwachsens auf allen Kanälen Beiträge zur Erhöhung dieser drei Motivatoren leisten – insbesondere im persönlichen Dialog durch die Führungskräfte.

Die Mitarbeiter können durchaus mit unterschiedlichen Vergütungssystemen umgehen. Es ist also nicht unbedingt erforderlich, die Vergütung der Mitarbeiter vollständig anzugleichen – auch nicht bei länderübergreifenden Kooperationen; dafür sind die steuer- wie auch sozialversicherungsrechtlichen Richtlinien zu unterschiedlich. Die Mitarbeiter müssen aber erkennen können, dass die Steuerungsprinzipien gleich sind. Dies zeigt sich insbesondere bei Elementen der variablen Vergütung: Es ist in Ordnung, wenn die nominale Brutto-Entlohnung der Höhe nach unterschiedlich ist, die Zielerreichungsgrade der variablen Vergütung müssen für vergleichbare Führungspositionen aber den gleichen Maßstäben und Werten folgen.

Einer der wichtigsten und sichtbarsten Punkte der Integration sind Stellenbesetzungen. Mitarbeiter haben in der Regel ein feines Gespür dafür, wer fachlich „gut“ ist, wer einen wertigen Beitrag zur Integration leistet usw. Erfolgt also eine Besetzung aus dem Kreis der „Guten“, tragen Mitarbeiter dies mit – unabhängig von der Unternehmensherkunft des Kandidaten. Dennoch ist es wichtig, bei Besetzungen (in den ersten Jahren) auf eine gewisse Ausgewogenheit in deren Unternehmensherkunft zu achten. Auch die Karrierechancen und die auf die Entwicklung des Unternehmens ausgerichtete Personalentwicklung müssen stimmig sein.

Die Personalentwicklung muss aber auf die Unternehmensentwicklung ausgerichtet werden, die

Mitarbeiter müssen ihre Karrierechancen als stimmig empfinden.

Die Einbeziehung externer Berater

Neben der fachlichen Beratung bis zur Übernahme von Arbeitspaketen können externe Berater die Rolle der externen Referenz, des Impulsgebers und der neutralen Sicht übernehmen und dabei vertrauensbildend für die Partner wirken.

Fallstricke in Kooperationen

Das Ego der Top-Entscheider

Gerade bei Kooperationen oder gar Fusionen unter Gleichen fällt es den bisherigen Verantwortlichen oft schwer, in der täglichen Arbeit Kompromisse einzugehen. Sie waren es gewohnt, selbst die wesentlichen Entscheidungen zu treffen; ein "Weiter so" ist aber nicht mehr möglich, weil ihre bisherigen Erfolgsmuster nur noch bedingt Wirkung zeigen. Tragisch wird es dann, wenn der visionäre Stratege durch die Fortführung seiner bisherigen Erfolgsmuster zur zentralen „Entwicklungsblockade“ im Unternehmen wird.

Unkenntnis und Misstrauen gegenüber „den anderen“

Öffentlich kommuniziertes Misstrauen gegenüber dem Partner oder einigen von dessen Führungskräften, Schlechtreden der Produkte des anderen, Thematisierung von Fehlern des anderen in der Vergangenheit, von Fehlschlägen oder Projekten mit Misserfolg tragen nicht zum Zusammenwachsen bei, sondern stören dies dauerhaft.

Kompetenzgefälle

Zu Beginn der Kooperation ist ein Soll-/Ist-Abgleich der Kompetenzen der jeweiligen Funktionen ratsam und danach – im Rahmen der zukünftigen Organisationsstruktur - zu entscheiden, welche Einheit welche Aufgabe mit welchen Ressourcen wahrnehmen soll. Diese Phase ist meist schwierig, weil Funktionsverantwortliche (bis zu den bisherigen Top-Entscheidern) zum „Schaulaufen“ neigen, um nichts abgeben zu müssen.

Ungeduld in der Umsetzung

Unternehmensverantwortliche unterschätzen oft die Dauer der Integration und sind nach einiger Zeit frustriert von dem vermeintlich zähen Integrationsprozess. Dabei erfolgt die fachliche Integration meist zügig und sichtbar, während die kulturelle Integration lange dauert und sich nur in kleinen Schritten vollzieht (Abb. 2).

Praxishinweise für die interne Steuerung der Integration

Die Fähigkeitsmatrix

Eine Fähigkeitsmatrix (Abb. 3) zeigt die Einschätzung von Fähigkeiten eines Arbeitsgebietes für jeden der Partner auf. Sie liefert einen Rahmen für die Diskussion zwischen den Partnern und für die Aushandlung der zukünftigen Struktur sowie der Kapazitätsallokation zur Einwicklung von Fähigkeiten im gemeinsamen Unternehmen. Zudem lassen sich dadurch Ansatzpunkte für Verbesserungen bzw. Best Practice-Ansätze ableiten. Zu deren Erarbeitung sollten die Partner eine Eigenbewertung zunächst individuell vornehmen und diese anschließend im Rahmen eines Workshops validieren und gemeinsam bewerten.

Aufsetzen von Integrationsprojekten

Auf Basis der vom Top-Management vorgegebenen Ansatzpunkte und Prioritäten ist die Erarbeitung und Priorisierung der Einzelthemen und Integrationsprojekte innerhalb der jeweiligen Arbeitsgebiete (betriebliche Funktionen, Märkte, etc.) durch die zukünftigen Führungsverantwortlichen sinnvoll. Die Kooperation zwischen den Partnern kann durch externe Berater methodisch und kulturell unterstützt werden.

Einrichtung eines Integrationsverantwortlichen

Als vorteilhaft hat sich die Installation einer Person oder eines Teams bewährt, deren Aufgabe ausschließlich das Vorantreiben der Integration der beiden Gesellschaften ist. Die Geschäftsführer/Vorstände haben nicht ausreichend Zeit für diese Aufgabe und laufen deshalb Risiko, die Integration nur „nebenbei“ zu betreiben. Die Vorbildfunktion hinsichtlich der Integration sollten sie jedoch übernehmen und sich v. a. hinsichtlich der Story und des Integrationswillens präsent und identifiziert zeigen.

Der Integrationsverantwortliche berichtet an die Unternehmensleitung und koordiniert als neutraler Katalysator die Erarbeitung und Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen. Im Fokus stehen hierbei Strukturen, Prozesse und Methoden. Er benötigt je nach Projektumfang fachliche Unterstützung und Zuarbeit. Andernfalls sind ein zügiges Vorankommen sowie die notwendige Breite der Arbeitsgebiete von vornherein nicht gewährleistet.

Konkrete Aufgaben sollten zumindest Folgende sein:

  • Bewertung und Empfehlung potenzieller Integrations-Strategien
  • Erarbeitung und Umsetzung der Integrations-Story und des Kommunikationsplans hierfür
  • Erarbeitung und Umsetzung des Integrationsplans
  • Initiieren und Unterstützen von Fähigkeitsentwicklungsinitiativen in den Linienorganisationen
  • Aufbau von Best Practices und Bereitstellung eines umfassenden Projektmanagements für die Integration
  • Vorantreiben von Integrationsentscheidungen, Überwachen des Status‘, Erstellen von Statusberichten und Kommunikation im Management
  • Fungieren als Mediator bei Problemen.

Kulturelle Sensibilisierung

Interkulturelle Trainings dienen dazu, die kulturellen Unterschiede aufzuzeigen und zu verstehen, nicht, diese zu eliminieren. Wenn möglich, kann das gegenseitige Kennen des Umgangs miteinander dazu führen, Fehlentwicklungen entgegenzusteuern.

Erste-100-Tage-Coaching

Im Fokus stehen bei dieser Begleitung die Reflexion zur Wahrnehmung der Führungsaufgabe in der neuen Konstellation, zur Selbststeuerung sowie zu Erwartungen an sich und andere, die Beleuchtung der Kommunikation inkl. „Absicht-Wirkung“, das Hinterfragen und Ausgestalten von Rahmenbedingungen, persönliche Antreiber, die (Weiter-)Entwicklung von Schlüsselbeziehungen sowie die Ausrichtung des eigenen Teams auf seine zukünftigen Herausforderungen und das Zusammenwirkens der verantwortlichen Führungskräfte mit ihrem neuen Vorgesetzten und untereinander.

Rotation von anerkannten Führungskräften

Diese Maßnahme ist ein praxisbewährtes Vorgehen zum Erfahrungsaustausch, dem Lernen voneinander und dem Abbau von Vor-Urteilen. Die rotierenden Führungskräfte können Unsicherheiten situationsgerecht reduzieren und mit ihrem erweiterten Blickwinkel konkrete Handlungsoptionen aufzeigen.

Zusammenfassende Handlungsempfehlung

Klare Zielvorgaben, der sichtbare Integrationswillen der Entscheider, das Aufsetzen flankierender Maßnahmen - ggf. unter Einbeziehung externer Berater -, die Einbindung der Führungskräfte und Mitarbeiter sowie ein langer Atem sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren für das Gelingen von Kooperationen.


Autor

Stephan Barlet, Diplom-Ingenieur, Jg. 1964, ist geschäftsführender Gesellschafter der ACA Aerospace Consultancy Associates GmbH in München. Er arbeitet seit 2009 als Unternehmensberater mit dem Fokus Strategisches und Operatives Personalmanagement für Großunternehmen und KMUs. In seine Beratungstätigkeit fließt seine langjährige Erfahrung als Personalleiter im Airbus-Konzern und bei Infineon ein.